A. Beutel u.a. (Hrsg.): ), Aufgeklärtes Christentum

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Titel
Aufgeklärtes Christentum. Beiträge zur Kirchen- und Theologiegeschichte des 18. Jahrhunderts,


Herausgeber
Beutel, Albrecht; Volker, Leppin; Udo, Sträter; Markus, Wriedt
Reihe
Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 31
Erschienen
Leipzig 2010: Evangelische Verlagsanstalt
Anzahl Seiten
394 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
David Neuhold

Das 18. Jahrhundert ist bekanntlich als das Jahrhundert der Aufklärung apostrophiert, auch wenn es bei weitem nicht nur das ist. Der vorliegende Sammelband weist dies deutlich auf und bietet einen guten Einblick v.a. in die protestantische Theologiegeschichte dieses Jahrhunderts mit Schwerpunkten im mittel- und norddeutschsprachigen Raum (siehe Ortsregister: Berlin, Göttingen, Halle, Leipzig).

Im Gesamt rückt im Besonderen I. die Beschäftigung sowie Auseinandersetzung mit der Bibel bzw. II. die Kirchen- bzw. Dogmengeschichte in den Mittelpunkt des Sammelwerkes, daneben sind III. Religionsfreiheit und Toleranz ein gewichtiger Schwerpunkt und damit zusammenhängend die Enzyklopädien, sprich: die wissenschaftlichen Opera, charakteristisch für ihre Zeit im Versuch einer aufgeklärten und aufklärenden Zusammenschau. Die hier vorliegende Rezension versucht also in thematisch eigenen Blöcken vorzugehen, nicht das Inhaltverzeichnis zu reproduzieren.

I. Die Beschäftigung mit der Bibel und die Sicht auf sie als heiligee Schrift erfuhr in besagter Zeitspanne eine signifikante Transformation: Die Wertheimer-Bibelübersetzung von Johann Lorenz Schmidt von 1735 macht dies exemplarisch deutlich, die auf einen Litteralsinn abzielt und vor allem das Alte Testament so zu begreifen versucht, quasi novum testamentum non daretur: Trinitarische und messianische Aussagen fallen dabei weg, eine «Entchristologisierung des Alten Testaments wird vorgenommen» (vgl. den Beitrag von Andreas Straßberger, 23–53, v.a. 35, 48). Straßberger versucht aufzuzeigen, dass dies zwar in apologetischer Hinsicht auf pietistischem Hintergrund geschieht, diese Absicht aber wurde von der «theologischen Mobilmachung» und Erregung gegen Schmidt völlig aus dem Blick verloren. Auch Dirk Fleischer kommt auf die Wertheimer Bibel zurück, wenn er diese als Anstoss für das Werk des bekannten Reimarus behandelt, der in der Folge der Ablehung des traditionellen Weissagungs- und Wunderbeweises konsequent zwischen der Verkündigung Jesu und dem, was die Apostel daraus gemacht hätten, unterschied (Fleischer, 81). Eine rekonstruierende Denkfigur, die bis heute mächtig weiter wirkt. In Johann Salomo Semler fand Reimarus einen zeitgenössischen Kritiker, wiederum mit breiter Nachwirkung (86–92), wenn Semler z.B. den Gedanken des Adressatenbezug der biblischen Texte, das Vetorecht der Quellen oder diakritisch-genetisches Analysieren betonte. Volker Leppin, Klaus Fitschen und Christina Reuter beschäftigen sich damit, wie Bibel konkret verwendet, sozusagen praktisch ausserhalb der Gelehrtenwelt umgesetzt und verwertet wurde: In der Welt der Dramen (Leppin zu Friedrich und Meta Klopstock), der Schullehrerbibel von Dinter (Fitschen) und des Werkes «Pontius Pilatus» von Johann Caspar Lavater (Christina Reuter). Hier findet sich neben der Erwähnung des Aufklärers Albrecht von Haller (Rolf Schäfer, Aufgeklärte Religions- und Bildungspolitik im Herzogtum Oldenburg um 1800, 347–362) ein starker Schweiz-Bezug: Lavater hat in 4 Bänden von 1782–1785 seinen «Pontius Pilatus» herausgegeben. Diese «Bibel im Kleinen », positioniert rund um die Verurteilungsszene Jesu Christi, wird von Christina Reuter in einer Art vorläufigen Werkstattbericht analysiert – eine historisch-kritische Neuausgabe dieses Werkes Lavaters wird von der Autorin angekündigt. Apropos: Lavater, der versucht hat, mit seinem «Pontius Pilatus» für eine offene und gerechte Lesehaltung gegenüber der Bibel einzutreten, wurde diesbezüglich von Goethe wenig geschätzt.

II. Mit Kirchen- und Dogmengeschichte befassen sich in expliziter Weise Fleischer (Vom Nutzen der Kirchengeschichte im 18. Jahrhundert) und Christoph T. Beckmann (Was macht die Politik in der Dogmengeschichte?). Fleischer zeigt, wie die geschichtliche Betrachtung in die Gelehrsamkeit des 18. Jahrhunderts vermehrt Eingang findet, und dies zu einem klaren Zweck, nämlich dem lebensweltlichen Nutzen, v.a. beim verschiedene Positionen zusammen tragenden Ansatz des Prager katholischen Kirchenhistorikers Kaspar Royko (1744–1819). Fleischer schreibt: «Royko plädiert für eine kritische Theologieund Dogmengeschichte. [...] Eine Umsetzung dieses Programms würde seiner Meinung nach die Dogmatik überflüssig machen [...]. Hier deutet sich also an, dass die Religionsund Kirchengeschichte zur theologischen Leitwissenschaft wird, wie es Zeichen des Historismus dann im 19. Jahrhundert Realität geworden ist.» (124). Auf eine weitere Akzentverschiebung dieser Epoche macht Beckmann aufmerksam: In der Dogmengeschichte des 18. Jahrhunderts rücken vermehrt die Menschen als Handelnde in den Mittelpunkt der Betrachtung, die politische Geschichte (v.a. in der Reformationszeit) findet gezielte Beobachtung sowie die Umgebungsfaktoren dogmatischer Theoriebildung in der jeweiligen Zeit stärker fokussiert werden.

III. Den thematischen Hauptblock bildet, obwohl ein solcher nicht benannt ist, die facettenreiche Beschäftigung mit Fragen der Toleranz bzw. Religionsfreiheit. Hier gibt es einerseits allgemein-historische Überblicke, z.B. von Michael Maurer zu England, Schottland und Irland, mehr systematisch ausgerichtete von Hans Martin Müller oder Christian Weidemann zu Kant (der sehr instruktiv und gut lesbar ist!), sowie andererseits zu rechtlich-politischen Überlegungen, die diese Zeit in besonderem Masse beschäftigten (z.B. der Aushöhlung der Häresievorstellung bzw. des Ketzerrechts in Halle, dargestellt von Voigt-Goy, 183–196).

Hervorzuheben ist in den Augen des Rezensenten der Beitrag von Andreas Urs Sommer, der in einer mikrologischen Studie – im Gegensatz zu vielen anderen Beiträgen nahe an einer bestimmten Quelle – ein komplexes theologisches Problem verhandelt. Der politische Augustinismus unter gallikanischen Vorzeichen wird bloss gestellt: In einem Brennpunkt, nämlich dem einer Bildbeschreibung aus der Kulturmetropole Paris Mitte des 18. Jahrhunderts, es handelt sich um ein Bild Vanloos des hl. Augustinus im «Kampf gegen die Donatisten» wird die Anklage der Intoleranz ersichtlich – ein spannender, philologisch-quellenkritischer und gelehrsamer Beitrag! Daneben ist v.a. auch die Reiseliteratur der Aufklärungszeit hervorzuheben, in der Religion und Kultur eine grosse Rolle spielen. In dieser Art von Literatur komplementieren sich Eigen- und Fremdwahrnehmung in markanter Weise. In einem Beitrag kommt Österreich bzw. Wien zu Zeiten des Vormärz, also schon Mitte des 19. Jahrhunderts, unter die Lupe (in den Augen eines amerikanischen Lutheraners, der sich vom religiös-politischen System des bereisten Landes abhebt und es konterkariert, im Speziellen über die Schilderung der Fronleichnamsprozession in der Donaumetropole), ein anderes Mal wird Preussen in einer Art aufgeklärtidealistischen Selbstdarstellung bereist bzw. dargestellt: Hier spielen Konfessions- und Religionsgrenzen keine Rolle mehr… die Jüdin isst gut aufgeklärt sogar Wurst. (Ulrich Dreesman, Aufklärung auf Reisen, 289–298)

Es können an dieser Stelle leider nicht alle Beiträge dargestellt werden. Insgesamt hätte der Band vielleicht gewonnen, wenn er in sich etwas dialogischer konzipiert worden wäre, d.h. wenn mehr Querverweise (wie etwa auf 253 in Bezug auf Bayle durchaus geschehen) gesetzt worden wären. Zusammenfassungen bzw. Key-Words am Ende der verschiedenen Beiträge hätten ein formal gelungenes Werk zudem abrunden können, in der Danksagung gleich zu Beginn erachtet der Rezensent den vorletzten Satz als tendentiell «herablassend».

Zitierweise:
David Neuhold: Rezension zu: Albrecht Beutel/Volker Leppin/Udo Sträter/Markus Wriedt (Hg), Aufgeklärtes Christentum. Beiträge zur Kirchen- und Theologiegeschichte des 18. Jahrhunderts, Leipzig, Evangelische Verlagsanstalt, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 545-547.

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